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Aufforstung mit Klimabäumen: „Wir sollten uns dem vollen Spektrum hingeben“

Elger Kohlstedt betreut als Leiter des Forstamtes Leinefelde (Thüringen) 16.000 Hektar Wald, von denen in den letzten Jahren große Flächen dem Klimawandel zum Opfer gefallen sind. Nun kontert er mit der Wiederaufforstung alternativer Baumarten.



Forstamtsleiter Elger Kohlstedt mit einer der alternativen Baumarten: Der Esskastanie.

Herr Kohlstedt, der deutsche Wald leidet an den Folgen von Trockenheit und Schädlingsbefall. Wie geht es dem von ihnen betreuten Forst in und um Leinfelde?

Leider müssen wir die Fichte für genutzt erklären. In den letzten fünf Jahren seit 2018 haben wir 95% unserer Fichtenbestände eingebüßt, befinden uns in gewaltigen Wiederaufforstungsprojekten. Leider zeigt auch unsere Hauptbaumart die Rotbuche deutliche Schäden. Hier wissen wir noch nicht genau, wohin die Reise geht, können aber auch schon im Laubholz Absterbeerscheinungen und deutliche Kronenverlichtungen feststellen.


Wie groß waren die Ausfälle genau und worauf sind sie zurückzuführen?


Mit dem Sturm Friederike fing 2018 alles an, wo circa 200 Hektar dem Wind zum Opfer gefallen sind und anschließend durch Dürre und Borkenkäfer weitere 200 Hektar im Staatswald. Da sind also im Landeswald, von dem ich 5000 Hektar im Forstamt betreue, etwa 10 % der Waldfläche verschwunden. Aber wir haben natürlich auch noch Betreuungswälder. Thüringen hat das Einheitsforstamt, wir betreuen also auch die Privat- und Kommunalwälder. Insgesamt haben wir also eine Waldfläche von 16.000 Hektar und haben, wenn ich die anderen Eigentumsformen mit dazu nehme, circa 1000 Hektar Fichte eingebüßt.


„Wir stehen vor einer brachialen Umwandlung.“

Unfassbar. Wie viel ist insgesamt ausgefallen, wenn man andere Baumarten dazurechnet?

Hier müssen wir zwei Dinge betrachten: Die Fichte war ja vollkommen unverjüngt. Hier sind Kahlflächen entstanden, die es wiederaufzuforsten gilt. Aber beim Laubholz sind wir als positives Kriterium in der glücklichen Situation, dass diese alle voraus verjüngt sind. Das heißt, wo uns Buchen absterben, stehen wir nicht vor der Tatsache einer Kahlfläche, sondern im Prinzip ist die Naturverjüngung so weit, dass sie den Platz einnehmen kann. Hier würde ich nicht von Kahlfläche sprechen, sondern nur von verlichteten Beständen. Und da haben wir in den letzten Jahren in normaler Größenordnung Laubholz als Zwangsnutzung nutzen müssen. Anstelle von normalen, planmäßigen Durchforstung sind wir auf die Schadflächen ausgewichen. Und haben selbstverständlich die Sterbenden, die noch nutzbaren und damit auch verkäuflichen Buchen den vitalen Buchen vorgezogen und vermarktet.


Wie versuchen Sie nun gegenzusteuern? Wie müsste ein widerstandsfähigerer Wald aussehen, der sich an die neuen Klimabedingungen anpasst?


Wir haben in den vielen Jahren zuvor kleine Schritte getan beim Umbau der Fichtenbestände im Eichsfeld, zu kleine Schritte. Jetzt stehen wir vor einer brachialen Umwandlung und versuchen, mit allen Möglichkeiten, die uns das anfallende Saatgut bietet, die Kahlflächen der Fichte in Mischwälder umzuwandeln, die zu 80 % aus Laubholz bestehen und zu 20 % aus Nadelholz. Wir erhoffen uns, in der Zukunft mit großer Mischung das Risiko zu streuen und mit Mischwäldern stabilere Bestände aufzubauen.


Dabei greifen sie zum Teil auch auf Alternativbaumarten zurück. Welche Arten haben Sie zur Wiederaufforstung in Betracht gezogen und warum?


Was die einheimischen Arten angeht, setzen wir auf Stiel- und Traubeneichen sowie auf die Nussarten. Das sind aufgrund ihres Tiefwurzelsystems die Baumarten, von denen wir uns erhoffen, dass sie mehr Wasser erreichen können als die flachwurzligen Baumarten. Dann gibt es einige Baumarten, die früher unbeachtet blieben, für die wir heute aber dankbar sind wie die Eberesche oder die Birke, die sonst zum Teil sogar als Unkraut im Wald betrachtet wurde. Sie spenden jüngeren Bäumen Schatten und erscheinen als Naturgaben auf unseren Flächen. Und wenn Sie mich nach den fremdländischen Baumarten fragen – die immer noch kontrovers diskutiert werden – kommen inzwischen alle Arten in Frage, die im mediterranen Raum zu Hause sind. Wir haben die spanische Tanne, die griechische Tanne, wir haben Libanonzeder im Nadelholz. Als Alternativbaumarten im Laubholz haben wir die Zerreiche, die Baumhasel aus dem türkischen Raum und viele mehr.


Da Sie die zum Teil kontroverse Diskussion schon angesprochen haben: Wie stehen Sie zum Thema Invasivität?

Ich glaube, wir müssen weit nach vorne schauen. Hier glaube ich den Meteorologen und Klimaforschern, die sagen: Nicht die Produktivität des Wirtschaftswaldes wird für Förster im Vordergrund stehen. Wir werden vor allem dafür sorgen müssen, dass der Wald grün bleibt. Und da sollte uns jede Baumart willkommen sein, die im wahrsten Sinne des Wortes grün bleibt, vielleicht auch noch etwas Neues spendiert. Aber ich würde auf keinen Fall eine Baumart verteufeln. Wir kennen das zum Beispiel aus anderen Bundesländern, wo bestimmte Baumarten untersagt sind, weil sie sozusagen Ausländer sind; aus anderen Ländern stammen und als invasiv betrachtet werden könnten, was ich nicht so sehe. Ich glaube, wir sollten uns dem vollen Spektrum hingeben, was in den nächsten 100 Jahren diese Extreme aushält. Da bin ich sehr flexibel.


Naturverjüngung und Wiederaufforstung: „Die Mischung macht’s.“

Da sind wir ganz einer Meinung. Sie haben es bereits angesprochen: Nicht alle Freiflächen in ihrem Wald werden aufgeforstet. Welche Rolle spielt die Naturverjüngung bei der Wiederbewaldung der von Ihnen betreuten Flächen?


Wir können es nicht in drei Jahren schaffen, 500 Hektar aufzuforsten – A von den Pflanzen her, B von der Manpower her. Also haben wir priorisiert. Die kleineren Flächen, die von Laubholz umrahmt sind, haben wir erstmal gar nicht angefasst und stellen auch schon fest: Der liebe Gott oder die Mutter Natur spendiert uns Dinge, über die wir sehr glücklich sind, weil zum Teil von allein viel geht. Aber wenn Sie eine 23 Hektar große Kahlfläche haben und das auf Buntsandstein, dann müssen Sie sich dort beeilen, weil Sie ansonsten zum Beispiel mit Brombeere, Holunder und anderen Konkurrenten ein großes Problem haben. Die machen ihre Aufforstungen entweder zunichte oder sie kriegen einen unglaublichen Pflegeaufwand, ihre Pflanzen freizustellen. Also haben wir gesagt: Hier müssen wir ran, die anderen Flächen heben wir uns noch 2, 3, 4 Jahre auf – hier lassen wir mal die Natur arbeiten. Und diese Mischung macht's.



Woran orientieren Sie sich bezüglich der Baumarteneignung auf den verschiedenen Standorten? Pflanzen Sie alle Setzlinge gleich oder abhängig von z.B. Boden, Wasser oder Höhenlage? Folgen Sie einer bestimmten Leitlinie?


Die aufgeforsteten Standorte waren sehr homogen, weshalb wir kaum differenziert haben. Wir haben eine bunte Mischung blockweise auf die Flächen aufgeforstet: 32 unterschiedliche Baumarten wurden im Forstamt Leinefelde in Aufforstung gebracht. Davon 50 % Eiche, 20 % Buche und Ahorn, die übrigen 30 % in vollster Mischung in kleineren Stückzahlen.



Und das auf bisher 300 Hektar. Respekt.

Das war sportlich, ja. Und das im Zeitraum von vier Jahren, wir sind jetzt im fünften. Wir haben jedes Jahr 60-70 Hektar umgewandelt bzw. wiederaufgeforstet, mit allem, was uns zur Verfügung stand: Mit eigenen Leuten, mit Unternehmern, mit großen Pflanzaktionen – das volle Spektrum. Ich bin ein stolzer Förster in Leinefelde, dass ich sage: Von den etwa 450 Hektar, die wir kahl hatten, haben wir bereits 300 Hektar erstmalig wieder angefasst. Natürlich ist in diesem Jahr, gerade in diesem Jahr, wieder Ausfall zu erkennen von teilweise bis zu 50 %. Das werden wir nach der ersten Runde dann in die Nachbesserung nehmen. Aber wir sind schon ganz schön weit. Natürlich muss ich auch sagen: Wir haben unsere eigene Baumschule in Breitenworbis und können hier mit kurzen Wegen und entsprechenden Initiativen und Unterstützungen schnell handeln.


„Wir haben freie Hand, jetzt etwas auszuprobieren, was uns in 50 Jahren sehr viel nützen kann.“

Das ist tatsächlich beneidenswert. Eine große Herausforderung bei uns besteht in der Saatgutbeschaffung. War das bei Ihren Aufforstungen auch ein derart limitierender Faktor?

Absolut. Eine Baumschule kann nur Pflanzen produzieren, wenn sie Saatgut hat. Und wir konnten in den letzten drei, vier Jahren profitieren von der unglaublichen Mast des Jahres 2018. Danach kam wieder ein deutlicher Abfall des Laubholzsaatgut-Anfalls und wir hoffen, dass wir in diesem Jahr wieder ein bisschen was kriegen. Wir haben schon wieder viele Netze gelegt, in der Hoffnung, dass wir Nachschub kriegen. Aber ich bin zu hundert Prozent bei Ihnen: Limitierender Faktor wird das Saatgut sein und die daraus dann produzierbaren Pflanzen in allen Baumschulen Europas.



Ein weiterer potentiell limitierender Faktor ist die Finanzierung eines solchen Vorhabens. Gab es da Schwierigkeiten?


Uns sind – muss ich wirklich lobend sagen – umfangreiche Landes- und Bundesmittel zur Verfügung gestellt worden. Ich sage klipp und klar, nicht weil ich es sagen soll, sondern weil ich es als sehr angenehm empfunden habe: Uns wurden keinerlei finanzielle Hürden in den Weg gelegt. Bis zum heutigen Tage sind wir finanziell in der Lage, Pflanzen anzuziehen und die Kahlflächen auch wieder zu bepflanzen. Limitierend – ich sage es noch einmal – ist das anfallende und nutzbare Saatgut.



War es Ihnen rechtlich ohne Weiteres möglich, alternative Baumarten zu pflanzen?


Es gibt nur in landschaftlich geschützten Bestandteilen, in FFH Gebieten (Anmerkung: Fauna-Flora-Habitat-Gebiet) und in Naturschutzgebieten, bestimmte gesetzliche Einschränkungen die einige Baumarten betreffen. Aber im Großen und Ganzen haben wir freie Hand, jetzt etwas auszuprobieren, was uns in 50 Jahren sehr viel nützen kann.


Das können wir von uns leider nicht behaupten. Herr Kohlstedt, wir danken Ihnen herzlich für das Gespräch!



 


Alle Informationen rund um unser geplantes Forschungsprojekt zu Alternativbaumarten finden Sie hier.

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